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Ein kleiner Auszug aus der Familiengeschichte.

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 


Eine Familiengeschichte (Teil 1)



[...]

Das Gut in W.1) hat eine bewegte und bewegende Geschichte. Im Sept./Okt. 1813 zogen die verbündeten Truppen gegen Napoleon Richtung Leipzig. Nach erledigter Arbeit im Folgejahr kamen sie auf dem Heimweg wieder vorbei. In einem Schriftstück sind „gehabte Einquartierungen, abgeführte Lieferungen und erlittene Plünderungen2) aufgelistet. Nach 7-jähriger französischer Besatzung (mit enormen Kontributionen) hatte allein o.g. Gut an die durchziehenden verbündeten deutschen und russischen Truppen zu liefern: „150 Brodte, 8 Scheffel3) Korn, 22 Scheffel Gerste, 80 Scheffel Hafer, 180 Zentner Heu, 9 Schock langes Stroh (540 Bd.), 3 Pferde mit Geschirr, 1 neuer Leiterwagen, neue Kalesche (kl. Kutsche), Kleidungsstücke, Wäsche, hölzerne Gefäße, 3 Klaftern Holz (rd.10m3), 9 Thüren, 20 Stück Bretter, 8 eichene Pfosten, 3 Stück Kühe.“ Geldwert: unglaubliche 1574 rthl. (Reichstaler).

 

Der Hof gehörte bis Mitte des 19. Jhs. der Familie Thieme, dessen letzter Besitzer 1844 unverheiratet mit 31 Jahren starb. Zwei Jahre später kaufte der 25-jährige Wassermüller Carl Christian August Julius Golf (1821-1886) das heruntergekommene Anwesen vom Bankier Lehmann, H., der es zwischenzeitlich verwaltete.

Ein Wappen mit Jahreszahl und Initialen (1846/J. G.), ursprünglich am Wohnhaus, jetzt an der Bauernschänke, belegt u.a. die Ansiedlung der Familie Golf. 1851 hatte das Gut 6 3/4 Hufen Land4), ca. 50 ha. Die Familie war nachweislich seit 1680 in P. und C. bei L. ansässig. In der neuen Heimat lebte sich Julius schnell ein und engagierte sich u.a. auch als Amtsvorsteher und Kirchenältester. Sohn Richard (1848-1925) aus erster Ehe, ein flotter Bursche auf Freiersfüßen, lernte Mariechen, die Tochter des B. Rittergutsbesitzers Erhard S., kennen und lieben. Sein Heiratsantrag wurde jedoch von deren Vater empört zurückgewiesen. Er beschimpfte Richard als einen armen Bauernjungen, der nur in das schöne Rittergut einheiraten wolle. Schwer gekränkt erzählte der junge Mann zu Hause von der schmählichen Absage. Das war für Vater Golf zu viel. So eine Beleidigung! Sie waren zwar nicht reich, aber das ging niemand etwas an. Jetzt nahm er die Angelegenheit in die Hand. Bei Gutsbesitzer Troitzsch aus dem benachbarten P. lieh er den neuen Kutschwagen, einen Landauer mit geschliffenen Fenstern, die Pferde mit Silbergeschirr und den repräsentablen Kutscher in Livree. So fuhr er in B. vor, verbat sich die Beleidigungen und betonte, bewusst etwas flunkernd, dass er Besitzer eines ebenso reichen Gutes, Landtagsabgeordneter und Inhaber mehrerer Ehrenämter sei und seinem Sohn eine sichere Zukunft bieten könne. Der Angriff wirkte. Rittergutsbesitzer S. war beeindruckt und entschuldigte sich. Darauf versöhnten sich beide Väter, Richard durfte sein Mariechen heimführen und später neuer Rittergutsbesitzer zu B. (..) werden.5) Im Stammbaum und der Chronik der Gemeinde B. sind Verzweigung und weitere Entwicklung der Familie Golf belegt. Julius Golf starb 65-jährig am Erntedankfest 1886 im W. Nachbargut Busse. Mitten im Gespräch mit seiner Frau „(...) bricht er zusammen und ist tot.6) Sein vierter Sohn aus zweiter Ehe, Curt Julius Georg Golf (1860-1931), ein Zwilling, führte die Wirtschaft weiter. Er erbaute u.a. 1894/95 einen neuen Stall, heute z.T. Gutsherrensaal. Trotz Amputation beider Beine war er auch in der Gemeinde aktiv tätig. Das kommt in der Todesanzeige zum Ausdruck: „Am 20. Dezember 1931 wurde unser langjähriger, treuer Kirchenältester Herr Gutsbesitzer Georg Golf in W. still und sanft abgerufen. Wir gedenken in Dankbarkeit der treuen, vorbildlichen Führung seines Ehrenamtes und seiner allzeit gütigen Gesinnung. Er ruhe in Frieden und das ewige Licht leuchte ihm! Die kirchlichen Körperschaften der Kirchengemeinde G.7)

 

Friedrich Julius Georg Golf jun. (1892-1947), der Erstgeborene, führte das Gut von ca. 1920 bis zur Enteignung 1945. Er war verheiratet mit Hilde Beyer (1900-1982). Tochter Karin wurde 1940 geboren. Die 3 Generationen arbeiteten sehr erfolgreich, modernisierten und vergrößerten den Besitz u.a. durch den Erwerb der übrigen 5 Höfe des Ortes. 1929 gehörten zum Gut 117,3 ha Acker und Weiden, 12 Pferde, 50 Rinder - dav. 25 Milchkühe, 200 Schafe, 40 Schweine.8) An dem zunehmenden Wohlstand wollten mehrfach auch andere teilhaben, indem sie sich unrechtmäßig auf Feld und Hof bedienten. Aufsehenerregend ein Fall im Frühjahr 1907. Ein Unbekannter stieg durch das Bad in das Wohnhaus, entwendete 60 Mark, wenig später nochmals 70 Mark. Gendarmerie-Wachtmeister Brunke aus L. ermittelte und verdächtigte bald den jungen Ökonomieverwalter. Der gestand, außerdem noch zwei Hundertmarkscheine vom 9-jährigen Sohn in Verwahrung genommen zu haben, die dieser dem Vater entwendet hatte. Später widerrief er sein Geständnis, musste jedoch für ein Jahr ins Gefängnis. Am 16/17.4.1945 besetzten amerikanische Truppen L. und Umgebung. In der Nacht zum 1. Juli zogen sie vertragsgemäß wieder ab, noch am gleichen Tag begann die Herrschaft der Sowjetischen Militäradministration Deutschland (SMAD). Erst im August 1994 sollten die letzten Einheiten den Weg in ihre Heimat finden. Nach der NS-Herrschaft bestimmten jetzt neue Befehle, Verordnungen und Willkür das Leben in der Besatzungszone. Über viele Menschen brach damit Unheil herein, auch über die Familie Golf. Am 14.8.1945 rollten zwei Militärfahrzeuge auf den Hof, denen zwei sowjetische Offiziere und ein deutscher Zivilist entstiegen. Mit den Worten: Kommen Sie mit zur Klärung eines Sachverhalts!9) - verschleppten sie Georg Golf, Ehefrau und Tochter sollten ihn nie wieder sehen. Um einer evtl. Mitverhaftung zu entgehen, schlich sich Bruder Werner vom Hof und versteckte sich am Ortsrand. Die Klärung erfolgte im berüchtigten Roten Ochsen in H. Die Anstalt, 1842 als „Königlich-Preußische Straf-, Lern- und Besserungsanstalt“ in Betrieb genommen, diente 1933-45 als Schutzlager, Zuchthaus und Hinrichtungsstätte, ab Juli 1945 als Haft- und Internierungslager des NKWD (Volkskommissariat für Inneres) und ab 1952 als Untersuchungsgefängnis des MfS (Ministerium für Staatssicherheit). Hilde Golf erfuhr, dass ihr Mann in genanntem Gefängnis einsaß und die Häftlinge Hunger litten. Um deren Not zu lindern lieferte sie eine Fuhre Kartoffeln - fragwürdig, ob die Adressaten etwas davon erhielten.

 

Seit 1996 ist ein Teil der Einrichtung Gedenkstätte für die Opfer politischer Verfolgung. In einer Veranstaltung referierte hier im August 2006 der Historiker Daniel Bohse über die Ereignisse der Nachkriegszeit. Für die oft willkürlich Verhafteten bzw. Denunzierten wurden haltlose Haftgründe konstruiert und in tagelangen Verhören mit Misshandlungen (Schlafentzug, Knochenbrüche, Schläge mit inneren Blutungen) Geständnisse wie im Mittelalter erpresst.10) So wurden bis 1950 allein in Halle 1700 Menschen für schuldig befunden. Es folgten Haft oder Hinrichtung (immer donnerstags). Georg Golf wurde zur Last gelegt, dass er als Offizier der Reserve im Volkssturm mitgewirkt hatte. Dabei ignorierten die Richter, dass der Beschuldigte als Offizier des Ersten Weltkrieges automatisch Reservist war, trotz einer schweren Beinverwundung, einem ständigen Andenken an den Krieg! Sie wussten auch, was einem Mann widerfahren wäre, der einen Einberufungsbefehl verweigert hätte - in Deutschland wie in der Sowjetunion! Übrigens, Goebbels prahlte in seinen Tagebüchern (veröffentlicht in 5 Bänden), in mehreren Aktionen Hunderttausende für den Volkssturm aus der Bevölkerung ausgekämmt zu haben! Zeitzeugen können die Verhaftung nicht nachvollziehen: Der hat keinem Menschen was getan! Wahrscheinlich wurde er denunziert. Otto Winkert (KPD), Bürgermeister der Stadt L., schrieb z.B. in einem Leumundszeugnis vom 29.8.45: „Der Landwirt Golf war wirklich ein Antifaschist. (...) Ich hatte während der Naziherrschaft des öfteren mich mit Golf unterhalten, wo er offen gegen den Nationalsozialismus Stellung nahm.11) Es half nichts, Georg Golf wurde nach Buchenwald verbracht, in das Speziallager 2, das die Siegermacht in dem ehemaligen KZ errichtet hatte. Zur gleichen Zeit erfolgte lt. SMAD-Befehl in der sowjetisch besetzten Zone die Enteignung des gesamten Grundbesitzes über 100 ha Betriebsfläche und des Grundbesitzes von Junkern, Grafen, Fürsten, Kriegsverbrechern und aktiven Nazis - unabhängig von der Betriebsgröße. In G. betraf es 5 Güter, darunter das der Familie Golf. Im Herbst folgte die Aufteilung entsprechend der im September von der Landes- und Provinzialverwaltung erlassenen Verordnungen. Die landwirtschaftliche Nutzfläche des Gutes wurde zu Betriebsgrößen von je 5 bis 6 ha ausgemessen und an Bewerber verlost, das lebende und tote Inventar verteilt und die Hofflächen und Gebäude an 10 Neubauern vergeben. Dabei war Hilde Golf unter Einbringung ihrer Kenntnisse behilflich. Trotz allem blieb sie im Fokus der Ermittler. Nach einem Hinweis auf eine bevorstehende Verhaftung verließ sie im Januar 1946 mit der 5-jährigen Tochter fluchtartig W. in Richtung H., wo Karin Golf, verh. Schulze, mit ihrem Ehemann noch heute wohnt. Georgs Brüder Werner und Herbert lebten dagegen weitgehend unbehelligt im Ort. Werner siedelte später in die Bundesrepublik über.

 

Georg vegetierte indes in Begleitung von Hunger und Krankheit im Internierungslager. Hier traf er u.a. seinen Verwandten Dr. Erich Golf, Pächter des Rittergutes B., wahrscheinlich auch manchen Leidensgenossen aus den Nachbarorten. Die Haftbedingungen im Lager waren unmenschlich. Von den über 28000 zwischen 1945 und 1950 allein in Buchenwald Internierten starben über 7100 an Folgekrankheiten von Unterernährung und unhygienischen Zuständen, insbesondere an Dystrophie mit Herz- und Kreislaufstörungen, Ruhr, Tbc, Typhus und Beschäftigungslosigkeit. Über die Hälfte aller Opfer war allein 1947 zu beklagen, Folge der im Herbst zuvor drastisch gesenkten Lebensmittelrationen. Allein im Winter starben täglich bis zu 200 Häftlinge, unter ihnen Georg Golf. Todesfälle infolge Gewaltanwendung sowjetischen Wachpersonals blieben die Ausnahme. Die Toten wurden in zwei Gräberfeldern mit über 1150 größeren und kleineren Massengräbern verscharrt. Eine Benachrichtigung der Angehörigen erfolgte nicht! 1951 begann der Abriss des Lagers. Die Überlebenden wurde entlassen bzw. DDR-Organen übergeben und nach Bautzen überführt. Dort starb u.a. auch Dr. Erich Golf. Nach Errichtung der Mahn- und Gedenkstätte 1958 kamen Besucher aus aller Welt nach Buchenwald. Weder im Dokumentarfilm noch bei Führungen gab es Hinweise auf das Speziallager! Heute kommen jährlich ca. 600 000 Besucher. 1957 schrieb Ehefrau Hilde an den Suchdienst des DRK in Berlin-West und erhielt die Nachricht, wonach „(...) ein Rolf Golf, ca. 60 Jahre alt, Bauer aus G. bei H. am 21.2.1947 in Buchenwald (...) verstorben sein soll.9) Bis auf den Vornamen war die Mitteilung zutreffend. Nach der Wende wandte sich die Tochter um endgültige Klärung an die Botschaft der Bundesrepublik und an Außenminister Genscher. Im September 1995 stellte die deutsche Botschaft in Moskau den Rehabilitierungsbescheid der Obersten Militärstaatsanwaltschaft der Russischen Förderation der Antragstellerin zu. Zum Andenken an Georg Golf errichtete die Familie Schulze in Buchenwald, wie viele andere Betroffene auch, einen Gedenkstein und besucht den Ort alljährlich. Die Familiengrabstätte befindet sich, liebevoll restauriert, auf dem Friedhof in G.

 


Quellenagabe: M. & A. Messerschmidt; 2013


1) W. 1156 Ersterwähnung; 1888 W.-P.; 1936 G. OT W.-P, 1950 S. und 2005 L, OT P.
2) Schulchronik G.
3) Ein Scheffel: Sachsen 103 Liter, Preußen 55 Liter
4) Schuleinkünfte G. 1852 (1 Hufe je nach Gebiet u. Bodengüter 7-25ha durchschnittlich 7,5ha; H. 7,2Ha
5) Nach Aufzeichnung der Familie Golf
6) Kirche G.; Akten
7) L.; Nachrichtenblatt 1931
8) Niekammer's Landwirtschaftliche Adressbücher, Band V, 1929
9) Karin: Archiv, Erinnerungen
10) Die Aussage fanden die Autoren bei ihren Recherchen mehrfach bestätigt
11) vergl. Anm. 9.
12) Familienberichte; Archiv
13) vergl. Anm. 9.

Familie GOLF: www.Fam.Golf